Zum Verständnis der Heiligen
Schrift (4)
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8. Schrift und TraditionSchrift und Tradition stehen nicht etwa gleichrangig nebeneinander, sondern diese ist an der Norm jener zu messen. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden daß die Kirche im Prozeß der Kanonisierung die maßgebliche Rolle gespielt hat, gab es doch anfangs noch keine geschlossene Sammlung biblischer Schriften. Also konnte zumindest in der frühen Zeit der Kirche "die Bibel" ganz sicher nicht die Richtschnur des Glaubens sein. Die Kirche entschied dann später über Anzahl und Echtheit der biblischen Bücher, doch gibt die Bibel keinen Aufschluß darüber, ob die Kirche richtig entschieden hat. Überlieferungen, die dem Geist und dem Buchstaben der Schrift nicht widersprechen, dürfen nicht a priori abgelehnt werden. Ein kultischer Purismus, der allein das gelten lassen will, was durch die Schrift belegt werden kann, widerspricht nicht nur der Erfahrung und der Praxis der Kirche in allen ihren Teilen, er leugnet auch, daß die Kirche trotz ihres Verfalls noch immer der Tempel des heiligen Geistes, das Gefäß der Wahrheit Gottes und der Schauplatz ist, auf dem mit seinem Handeln zu rechnen ist. Der Strom geistgewirkter Tradition wird so lange fließen, wie die Kirche sich "in der Welt" zu bewähren hat. Allerdings ist ein überspannter Traditionalismus abzulehnen, der jede kirchliche Überlieferung gedankenlos hütet. Schon allein deshalb sind die Überlieferungen der Kirche fehlerhaft bzw. entstellt, weil ihr seit dem Beginn des ersten Jahrhunderts das apostolische Amt fehlt, dessen privilegierte Aufgabe es ist, Traditionen zu sichten, zu prüfen, zu erklären, zu bewahren und, wenn es dem Herrn der Kirche notwendig erscheint, auch neu zu empfangen, wobei - wie schon erwähnt - der Boden der Heiligen Schrift nicht verlassen werden darf. Ein der Kirche neu geschenkter Apostolat hätte also - der zeitgeschichtlichen Situation entsprechend - nicht nur die Aufgabe, alles in der weltweiten Kirche vorhandene Gute und Wahre anzuerkennen und an den richtigen Platz zu stellen; auch das, was im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte an kirchlichen Lehren, Ordnungen und Gebräuchen entstellt wurde, verloren gegangen oder niemals zur notwendigen Entfaltung gekommen ist, müßte von den Aposteln neu geordnet bzw. der Kirche wiedergegeben werden.
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