Zum Verständnis des Reiches Gottes |
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Exkurs 1: Das Reich Gottes und die Kirche"Jesus hat das Reich Gottes verkündigt; doch gekommen ist die Kirche!" Dieser fast schon populär gewordene und nicht unbedingt kirchenfreundlich zu verstehende Ausspruch ist zweifellos richtig, doch darf dabei nicht übersehen werden, daß Jesus sowohl das Reich Gottes als auch die Kirche ankündigte. Die Kirche, das Reich Gottes "im Geheimnis" ist bereits gekommen; doch die sichtbare Herrschaft Gottes steht noch aus. Beide Größen dürfen nicht miteinander verwechselt oder vermischt werden. Tatsächlich war die Predigt Jesu während seiner irdischen Wirksamkeit zunächst nichts anderes als die Fortsetzung der Verkündigung Johannes des Täufers: das Kommen des Reiches, das dieser letzte Prophet des alten Bundes ankündigte, nämlich das von Daniel und den übrigen Propheten geweissagte, das in sichtbarer Gestalt in Israel aufgerichtet werden sollte, war auch Gegenstand der Verkündigung Jesu. Die Wunder und Zeichen, die er dabei unter dem Volk tat, waren nicht in erster Linie als Offenbarung seiner göttlichen Allmacht, sondern vor allem als Hinweis auf die bevorstehende Erlösung für die in Elend und Tod versunkene Menschheit anzusehen. Sie sollten deutlich machen, daß er der verheißene Messias war, der die Folgen der Sünde aufheben und alles Elend überwinden konnte. Bei seinen Zeitgenossen erweckte Jesus also zunächst ganz bewußt den Eindruck, daß die Aufrichtung der von den alten Propheten geweissagten Herrschaft Gottes unmittelbar bevorstand. Darüber hinaus ist jedoch unübersehbar, daß Jesus schon in der Bergpredigt das von ihm angekündigte Gottesreich nicht mehr als unmittelbar im Kommen begriffen umschrieb, sondern als etwas Zukünftiges, nach dem man trachten und auf dessen Kommen man warten sollte. Gleichzeitig deutete er auf etwas Neues hin, was vom traditionellen Reich-Gottes-Verständnis deutlich unterschieden werden mußte, nämlich auf die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit und auf die Taufe mit dem Heiligen Geist. Diese Aussagen zielten auf die Gründung der Gemeinde des Neuen Bundes, wenngleich Jesus das Wort "Kirche" bis zum Tode seines Vorläufers Johannes nicht aussprach. Erst vom Zeitpunkt dieses Ereignisses an war anscheinend abzusehen, daß das von Johannes - und Jesus - proklamierte Gottesreich nicht unmittelbar würde aufgerichtet werden können. Doch nicht nur das Kommen dieses Reiches - auch den Bau seiner Gemeinde kündigte Jesus als etwas in der Zukunft Liegendes an. Auf das Bekenntnis des Petrus gab Jesus die Antwort: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen ... und ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben." Der Entschluß Jesu, seine Kirche zu bauen, ist demzufolge nicht etwa als eine neue Interpretation der alttestamentlichen Reich-Gottes-Verheißung zu verstehen, wodurch deren buchstäbliche Erfüllung hinfällig geworden wäre. Die angekündigte Gründung der Gemeinde war vielmehr in keiner Weise als direkte Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen anzusehen, sondern es handelte sich um einen bis zum damaligen Zeitpunkt nicht geoffenbarten Schritt im Heilsplan Gottes, den Paulus die Offenbarung des Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war, nennt. Es kann daher nicht verwundern, daß Jesus seinen Zeitgenossen ein "Reich" vor Augen stellte, das sich von dem in den Psalmen und den Propheten geschilderten ganz erheblich unterschied. Offenbar schilderte er einen Zwischenzustand, der dem Widersacher Gottes einen, wenn auch streng eingegrenzten, so doch aber erheblichen Spielraum einräumen würde. Erst bei der herrlichen Wiederkunft Christi würde dieser Zustand plötzlich aufgehoben werden und das Reich Gottes sich sichtbar darstellen. Der Zustand des Reiches Gottes "im Geheimnis", nämlich der Kirche, hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem "Reich" im althergebrachten Sinne des Wortes; vielmehr handelt es sich um einen Zustand der Anfechtung und des Kampfes. Keineswegs ist er das seit Urzeiten verheißene Reich Gottes, sondern erst die "Schule", worin die zukünftigen Könige und Priester auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet werden sollen. Allenfalls insofern kann die Kirche als ein "Reich" angesehen werden, als in ihm die getauften Gläubigen bereits aus dem Reich der Finsternis in das Reich des Sohnes Gottes versetzt sind. Die alttestamentlichen Verheißungen vom Reich Gottes finden erst mit dem Abschluß der Geschichte der Kirche ihre Erfüllung, d.h. mit dem großen Ereignis der herrlichen Wiederkunft Christi unmittelbar vor dem Eintritt des Milleniums. Vor dem Beginn dieses Zeitabschnittes erfolgen auch die erste Auferstehung sowie Verwandlung und Entrückung der treuen Nachfolger Christi. Die auf diesem Wege verklärte und vollendete Kirche wird dann das himmlische Jerusalem bilden, das sich nach dem Ablauf des Milleniums als Gottes vollkommene Stadt auf die Erde herabsenken wird. Mit diesem Ereignis tritt das Reich Gottes in das Stadium seiner Vollendung ein, in dem Gott alles in allem und seine Wohnung für immer und ewig bei den Menschen sein wird. Exkurs zum Tausendjährigen Reich
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